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Klimakrise zwischen Science-Fiction und Realität

Warum die Klimakrise unser bester SciFi-Plot ist – und wie wir trotzdem noch das Ruder herumreißen können

Von Ike Aaren Hadler

Reise durch die Klimazone 2025: Von Karpatenkühle und Balkan-Hitze

Während sich viele Menschen in Mitteleuropa nach Urlaub und Erholung sehnen, ist meine Realität als Reisejournalist:in im Sommer 2025 alles andere als entspannend. Mit meinem Miniatouring M24 Wohnwagen ziehe ich aktuell durch den Balkan – nicht, weil ich das Abenteuer im Hitzeschleier suche, sondern weil ich bewusst den Rekordtemperaturen des europäischen Flachlands entkommen möchte. In Bukarest, in den Ebenen Rumäniens, ja selbst in Südfrankreich oder Spanien, werden 35 bis 42 Grad gemessen – und das schon im Juni. Das gab es so früh im Jahr noch nie. Während die Städte dampfen, bleibt nur das Rückzugsgebiet der Karpaten, wo es im Vergleich noch mild und menschenfreundlich zugeht.

Doch diese persönliche Flucht ist nur ein Spiegel für das, was Millionen andere längst betrifft: Die Klimakrise ist zur Alltagsrealität geworden – auch in Europa, auch für die sogenannte „Jetzt-Generation“ zwischen 25 und 45 Jahren.

Science-Fiction als Vorwarnsystem: Die Dystopie ist angekommen

Ich bin mit Science-Fiction aufgewachsen. Für viele von uns waren Isaac Asimov, Arthur C. Clarke, die „Star Trek“-Universen, Filme wie „Matrix“, „Children of Men“, „Blade Runner“, „Snowpiercer“ oder Serien wie „The Expanse“ immer mehr als nur Eskapismus. Sie waren eine Einladung, den Blick zu weiten, Muster in der Gegenwart zu erkennen und darüber nachzudenken, was wäre, wenn wir nichts tun.

Doch das „Was wäre wenn“ ist heute längst Realität geworden.

• In „Children of Men“ ist die Gesellschaft durch Umweltkatastrophen und politische Instabilität zerrüttet. Die Nachrichtenbilder aus den Flutgebieten Mitteleuropas, den ausgebrannten Wäldern Südeuropas, den Klimaflüchtlingen an den Außengrenzen – sie sind kaum noch von dieser Fiktion zu unterscheiden.

• „Blade Runner 2049“ beschreibt eine Welt, in der die Umwelt gekippt ist und die wenigen Menschen sich in künstlichen Oasen retten, während Tiere ausgestorben und Städte im Smog erstickt sind. Luftqualitätswarnungen in deutschen Großstädten, das massive Insektensterben, der Rückgang der Artenvielfalt in unseren Gärten sind real.

• „The Expanse“ skizziert eine Erde, in der Wasser rationiert und Ressourcen knapp sind – in Spanien, Frankreich, Griechenland ist Wasser längst kein selbstverständliches Gut mehr.

All diese Werke zeigen, was passiert, wenn Wohlstandsgesellschaften ihre eigene Trägheit und Ignoranz nicht überwinden. Sie halten uns einen Spiegel vor und sind weniger Mahnung als Handlungsanleitung. Denn sie zeigen auch, wie Gesellschaften umsteuern könnten – wenn sie nur wollten.

Die Fakten: Dr. Mark Benecke, Daten & der Stand der Wissenschaft

Dass wir an einem Kipppunkt stehen, ist keine künstlerische Überhöhung.

Der Kriminalbiologe und Wissenschaftler Dr. Mark Benecke beschreibt es in seinem aktuellen Vortrag „Time is up“ messerscharf und mit dem für ihn typischen, unbestechlichen Blick auf die Daten:

Der Klimawandel ist schneller und heftiger als jedes Modell vor 15 Jahren angenommen hat.

Hitzewellen, Überschwemmungen, Dürreperioden und Stürme sind heute Alltag in Europa und weltweit. Die +1,5-Grad-Marke dürfte bereits in den nächsten drei Jahren erreicht werden.

Anpassung reicht nicht mehr.

Die Geschwindigkeit, mit der sich Ökosysteme, Landwirtschaft, Städte und Menschen anpassen müssten, übersteigt das, was biologisch und technisch möglich ist. Die Politik, aber auch die Gesellschaft, sind zu langsam, zu bequem, zu selbstzufrieden.

Artensterben und Bodendegradation treffen uns an der Basis.

Die sogenannten „Allerweltstiere“ – Kellerasseln, Ameisen, Eintagsfliegen – verschwinden. Sie sind die unsichtbaren Dienstleister für gesunde Böden, bestäubte Pflanzen, sauberes Wasser. Das Ökosystem gerät aus dem Gleichgewicht – mit unmittelbaren Folgen für unsere Lebensmittelversorgung, unsere Gesundheit, unser Leben.

Die größte Gefahr ist die Trägheit der Gesellschaft und der demokratischen Systeme.

Wir nehmen Rekordhitze und Flutkatastrophen zur Kenntnis – aber nicht zum Anlass, radikal umzusteuern.

Von der Fiktion zur Handlung: Was SciFi und Wissenschaft uns heute sagen

Was die Science-Fiction immer wieder als Kernbotschaft vermittelt, wird heute von der Wissenschaft mit harten Fakten untermauert:

Handeln ist nicht mehr optional, sondern überlebenswichtig.

• In „Star Trek“ ist die geeinte Menschheit nicht Utopie, sondern ein Resultat gemeinsamer Krisenbewältigung, gesellschaftlicher Lernprozesse und dem Mut, radikale alte Muster zu verlassen.

• In „Snowpiercer“ ist die Unfähigkeit, rechtzeitig zu reagieren, der Grund für das Scheitern der Zivilisation.

• In „Matrix“ oder „Gattaca“ geht es um den Preis, den wir zahlen, wenn wir Technik oder Gentechnik nur für kurzfristige Vorteile nutzen – und dabei das große Ganze aus dem Blick verlieren.

Die aktuellen Prognosen der Klimaforschung, der Versicherungswirtschaft, der Ernährungs- und Umweltorganisationen sind eindeutig:

Wenn wir jetzt nicht radikal gegensteuern, erleben wir die Folgen nicht in 30 Jahren, sondern schon in den nächsten fünf bis zehn Jahren.

• Hitzewellen und Wassermangel werden Alltag, auch in Deutschland.

• Ernteausfälle, Preissteigerungen, Versorgungskrisen werden zunehmen.

• Migration, gesellschaftliche Spaltung und politische Radikalisierung werden sich verschärfen.

• Naturkatastrophen, gesundheitliche Belastungen, wirtschaftliche Verluste treffen nicht nur die Armen, sondern die gesamte Gesellschaft.

Generation „Jetzt“: Zwischen Trägheit und Aufbruch

Gerade für die Generation der 25- bis 45-Jährigen ist das Thema drängend.

Wir sind die erste Generation, die den Klimawandel nicht nur im Fernsehen, sondern am eigenen Leib erlebt. Gleichzeitig sind wir aber auch die letzte Generation, die noch gestalten kann, wie die kommenden Jahrzehnte aussehen werden.

Die Science-Fiction-Literatur und die Klimawissenschaft bieten keine einfachen Antworten – aber sie liefern den Werkzeugkasten:

• Mut zur Veränderung,

• gemeinsames Handeln,

• kritischer Umgang mit Technik,

• Bereitschaft, Komfortzonen zu verlassen,

• Lust auf Innovation, Solidarität und Diversität.

Fazit: Die beste Zeit, Science-Fiction in Science-Fact zu verwandeln, ist jetzt

Wir stehen an einem Wendepunkt, der zugleich Chance und Risiko ist.

Unsere Vorbilder in der Popkultur und unsere Wissenschaftler:innen sagen uns:

Du kannst nicht alles verhindern, aber du kannst alles verändern.

Ob unsere Welt mehr „Star Trek“ oder „Children of Men“ wird, liegt an unserem Mut, zu handeln – jetzt, gemeinsam und auf allen Ebenen: politisch, gesellschaftlich, wirtschaftlich und ganz privat.

Brauchen wir noch Naturschutz oder ist es vielmehr heute Bevölkerungsschutz? Die Natur passiert und sie passt sich an, aber durch unser Tun und Lassen beeinflussen wir konkret unsere eigene Lebensgrundlage und Lebensumgebung. Wir betreiben unser eigenes gegen uns gerichtetes Terraforming!

Zum Weiterlesen und Nachdenken:

Dr. Mark Benecke: Time is up – Hitze, Fluten, Artenschwund (YouTube)

Children of Men (Roman/Film), Blade Runner, Snowpiercer, The Expanse, Star Trek

• [IPCC Report AR6, Munich Re NatCatSERVICE, WWF Living Planet Report]

Dieser Artikel erschien zuerst auf jcmi.eu und ist für die Veröffentlichung in STERN und FAZ freigegeben.

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